Buchhandlung Alibi: Inhaber Manfred Sarrazin ist Meister der Krimi-Plots
"Die Welt wie sie ist – nicht, wie sie sein soll"
Von Frank Weiffen für R2-Popsmart
Foto: Weiffen
Manfred Sarrazin mit einem Band seines Lieblingsautors James Ellroy. Im Hintergrund auf dem Regal eine russische AK 47 - aber nur eine Filmrequisite.
Köln. Wer zur Türe hereinkommt, der betritt eine andere Welt. In den Regalen stehen an die 3000 Krimis und Thriller. Auf den Regalen liegen Pistolen und Maschinengewehre: eine AK 47, eine Beretta, eine Glock. Täuschend echt sehen sie aus. „Das sind 1:1-Modelle“, sagt Manfred Sarrazin, sobald er bemerkt, dass ein Kunde verstohlen zu den Waffen hinaufblickt. „Die habe ich von einem Bekannten, der bei einer Firma für Filmrequisiten arbeitet. Und ich sage Ihnen: Es ist beeindruckend, wie gut diese Dinger einem in der Hand liegen.“ Manfred Sarrazin lächelt. Der Satz könnte glatt aus einem Kriminalroman stammen. Und von denen hat der 59-Jährige Unmengen gelesen seit damals. Seit jenem Augenblick, in dem alles begann.
Manfred Sarrazin war gerade neun Jahre alt, hatte sich binnen zwei Tagen durch Winnetou I bis III gewühlt, da hielt ihm sein Vater als nächstes einen Edgar Wallace hin: „Die Bande des Schreckens“. Der erste Krimi seines Lebens. Manfred Sarrazin verschlang ihn in wenigen Stunden – und war „angefixt“. Vier Jahre später erwischte es ihn dann endgültig: „Da las ich meinen ersten Raymond Chandler – und war unrettbar verloren für das Schöne und Gute.“ Manfred Sarrazin wurde zum Wiederholungstäter. Er widmete sich dem Verbrechen beim jahrzehntelangen Krimikonsum daheim, in Büchereien, in Buchhandlungen, in Antiquariaten, ehe seine Frau 1990 zu ihm sagte: „Manfred, Dein Hobby kostet zuviel Geld. Entweder Du lässt es bleiben. Oder Du machst es zum Beruf und eröffnest einen eigenen Laden.“ Der Wiederholungstäter Manfred Sarrazin ließ sich nicht zweimal bitten – und stieg auf zum Herrn der Gangster.
Sarrazin analysiert seine Kunden - und gibt die perfekte Krimi-Empfehlung
Heute kennt er sie alle: Detektive, Polizisten und Cops wie Kurt Wallander, John Rebus, Alan Banks, Jack Gold oder Art Keller. Und ihre kriminellen Gegenspieler, die Menschenschlächter, die Gesetzlosen. Aus dem Effeff. Wer in seinen Buchladen kommt und nicht genau weiß, für welchen Krimi er sich denn nun entscheiden soll, dem wird prompt geholfen. Auf den wartet Manfred Sarrazins Krimi-Anamnese: „Was haben Sie bisher gelesen? Was war toll? Was war Mist?“ Er geht ein wenig auf und ab. Greift ins Regal. Hält kurz inne. Streichelt liebevoll über den Buchrücken. Und dann erzählt Manfred Sarrazin mit wunderbar ruhiger Stimme und stets ein wenig auf den Fußballen wippend den Plot des Romans, den er da gerade in der Hand hält.
Wer halbwegs regelmäßig Bücher liest, der weiß, wie schnell eine Geschichte, die gerade noch so mitreißend war, plötzlich auf der Müllhalde des Vergessens landet. Bei Manfred Sarrazin jedoch hat sich in abertausenden Lesestunden jedes Detail ins Gedächtnis gebrannt. Und Details kommen so einige zusammen bei durchschnittlich fünf bis sechs Büchern pro Woche. Das Krimi-Gedächtnis und die Anamnese – es sind die zwei Pfunde, mit denen Manfred Sarrazin gegenüber den allerorts wie Pilze aus dem Boden schießenden, riesigen Buchhandelsketten wuchern kann.
Der Herr der Krimis hält es mit Hitchcock: Unterhaltung zählt
Und dann sind da noch seine Prinzipien und Vorlieben. Die hat jeder Cop. Die hat jeder Mörder. Und die hat auch Manfred Sarrazin. Er weiß, was geht und was nicht. Gar nicht gehen zum Beispiel jene Romane, die er „Olivenölkrimis“ nennt: „Nehmen Sie Donna Leon. Da dreht sich alles um mediterrane Atmosphäre, Wein, gutes Essen und bildungsbürgerliche Abschweifungen in die Kunst. Was für ein Schund!“ Ebenso uninteressant ist für ihn der Großteil der deutschen Gegenwartsliteratur. „Die deutsche Literatur“, sagt Manfred Sarrazin, „neigt dazu, Botschaften zu vermitteln. Man soll die Ideologie des Autors erkennen. Das ist falsch!“ Manfred Sarrazin braucht keine „Message“. Manfred Sarrazin braucht einen Plot, der auf das Wesentliche reduziert ist. Da hält er es wie der große Alfred Hitchcock, der dereinst sagte: „Alles was ich will, ist unterhalten. Wer eine „Message“ will, der soll zur Western-Telephone-Company gehen.“
Die Liebe des Manfred Sarrazin gehört deshalb vor allem den amerikanischen Krimis und Thrillern mit ihren „hardboiled detectives“. Also jenen Cops und Ermittlern, die selber nicht frei sind von Schuld und die bei ihrer Arbeit bewusst gegen Gesetz und Moral verstoßen. Sie sind die großen Zyniker der Literatur. Sie stehen in der Tradition der amerikanischen Outlaws und spiegeln das fatale Misstrauen, das die Amerikaner gegenüber dem Staat und seinen Institutionen haben. „Harboiled detectives“ bewegen sich im großstädtischen Sündepfuhl blutiger und drastisch dargestellter Gewaltverbrechen: Bürgerkriege, Mafiamorde, Terror, verwahrloste Megacitys. Und sie zaubern ob dieser Unglaublichkeit ein Blitzen in Manfred Sarrazins Augen, wenn er von ihnen spricht. „Die amerikanischen Krimis“, sagt er dann und rollt ein Stückchen Plastikfolie, das er gerade von einem Buch gerissen hat, zwischen seinen Fingern hin und her, „die zeigen die Welt, wie sie wirklich ist – und nicht wie sie sein soll.“
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