Underground in Köln: Englands wichtigste Space-Rock-Band im R2-Gespräch

Amplifier: In den Tentakeln des Octopus

Von Martin Giesel und Peter Joerdell für R2-Popsmart

Foto: Joerdell

Die Freude nach dem gelungenen Gig ist der Band anzusehen. Und das überaus gelungene, liebevoll gestaltete Stück Fan-Art trägt sicherlich auch dazu bei.

Köln. Großartige Bands sind wie manche Künstler, etwa Vincent van Gogh. Zu Lebzeiten haben sie es schwer, die Anerkennung zu bekommen, die sie verdienen. Trotzdem fanden an Pfingsten rund 300 Amplifier-Fans den Weg ins Underground in Köln, um gemeinsam mit ihrer Lieblingsband eine Art von Space- und Prog-Rock abzufeiern, wie sie heute kaum noch gespielt wird. Catchy und dennoch kantig, poppig und doch weiträumig, treibend und dabei immer noch sphärisch, lyrisch und doch auf eine anspruchsvolle Art und Weise rau.

Beim ersten Plausch vor der Show ist Sänger Sel genauso freundlich und distinguiert, wie man sich den Londoner, der seit einem Jahrzehnt in Manchester lebt, vorstellt, wenn man ihn in Interview-Videos erlebt hat. Nur die Kamera lässt ihn kurz die Stirn runzeln. „Fotos machen wir aber jetzt keine, oder?“ Nein, versprechen wir, die kämen erst später – und Sel ist beruhigt, sitzt er doch noch abgekämpft vom Gig des Vorabends und der morgendlichen Anreise aus Hamburg in Flecktarn-Shorts und St. Pauli-Jacke da. Und eben dieser Look erfüllt den selbst auferlegten Dresscode nicht, der seit Erscheinen von „The Octopus“ (drittes Album, Release Anfang 2011) in komplettem Schwarz und Logo-Krawatte besteht. Schon hier wird klar: Da lebt einer seine Musik.

Foto: Joerdell

Amplifier live: Dank Verstärkung durch Steve Durose (Ex-Oceansize, links) während der Octopus-Tour ein noch kraftvolleres Erlebnis als früher.

Wie läuft die Tour, wollen wir wissen? „Oh, die Leute reagieren schon ganz anders als auf das frühere Material von Amplifier“, räumt Sel ein. Kein Wunder, ist „The Octopus“ doch ein wesentlicher Einschnitt für die Band. Ein Monster von einem Doppelalbum voller Leitmotivik und sehr komplexer Musik. Und das alles musste erst wachsen und wächst noch immer. Entsprechend sei es, so Sel, sicher ungewöhnlich, erst ein halbes Jahr nach dem Erscheinen zu touren, „andererseits haben die Fans sich so aber erstmal an The Octopus gewöhnen können. Und um ehrlich zu sein, ist das ein Prozess, der auch bei uns immer noch weitergeht.“ Verglichen mit früheren Veröffentlichungen von Amplifier, einer der wichtigsten Space-Rock-Bands unserer Tage, ist The Octopus ein regelrecht theatralisches Werk, das stark von einem gedanklichen Überbau lebt.

The Octopus: "Wir wollten einen Mythos erschaffen"

Der „Octopus“ ist eine Metapher für alle möglichen Arten von Systemen, die den Menschen vereinnahmen. Nicht zuletzt verbirgt sich hinter der enigmatischen Chiffre auch Kapitalismus- und Globalisierungskritik. Und die Haltung einer Band, die von der Musik-Industrie die Nase voll hat. „Wir haben mit der Platte allen kommerziellen Ballast abgeworfen. Was danach kommt, wissen wir nicht genau. Aber jetzt und hier bietet dir die Platte jede Menge, in das Du Deine Zähne schlagen kannst, wenn Du willst.“ Und so betont Balamir auch, dass „The Octopus“ ein großes Experiment sein soll, dass durch die Fans weitergeführt wird. „Wir setzen stark auf virale Verbreitung, sei es durch unsere Sticker oder dadurch, dass Leute Teil des Octopus werden, indem die Namen der Käufer der Limited Edition in allen zukünftigen Auflagen aufgelistet werden.“ Die Band habe all ihre Hoffnungen und ihr Glück in dieses Album gelegt. „Wir wollten einen Mythos erschaffen,“ so Balamir. Und fast klingt er dabei nach ‚Alles oder nichts‘, wenn er bemerkt: „Die Gelegenheit, noch einmal vier Jahre auf ein solches Album zu verwenden, werden wir wohl nicht bekommen.“

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