Bahnhofspunk Oki: Ein Leben außerhalb der Gesellschaft
Keine Wohnung für Oki
Von Peter Joerdell für R2-Horizont
Foto: Joerdell
Ist gerührt, dass "normale" Menschen wie R2-Chefredakteur Peter Joerdell mit ihm sprechen. Bahnhofspunk Oki.
Solingen. Heute habe ich meinen Freund Oki getroffen. Nun, eigentlich ist er mehr ein flüchtiger Bekannter. Aber ich nenne ihn einen Freund, weil er mich so nennt. Oki ist ein Punk, ungefähr in meinem Alter, und er lebt die meiste Zeit um und im Solinger Hauptbahnhof, von dem aus ich regelmäßig geschäftlich nach Düsseldorf fahre.
Kennengelernt haben wir uns, weil wir beide die meiste Zeit Doc Martens tragen. Wie das schon mal mit Punks so ist. „Ey, geile Schuhe Alter, ehrlich, und öh – haste mal ’nen Euro?“ Wer könnte da nach einem Kompliment zu den schönsten und bequemsten Schuhen der Welt widerstehen – zumal auch ich eine Schwäche für die eine oder andere Spielart des Punkrock habe.
Und natürlich fragt man sich auch – hätte mir das auch passieren können? Vielleicht ja, hätten meine Eltern etwas weniger gut auf mich aufgepasst, oder wäre ich in einem kritischen Alter an die berühmten „falschen Freunde“ geraten. Manchmal ist der Unterschied zwischen einer erfolgreichen und einer verunglückten Biographie erstaunlich gering. Und schon sitzt man wie Oki auf der Treppe einer Bahnhofsunterführung, liest ein sich langsam auflösendes Exemplar eines alten Walter Moers Romans („Die Stadt der träumenden Bücher“), raucht selbstgedrehte Zigaretten, fragt sich, wo man das nächste Haarspray herbekommt, um den Iro wieder aufzustellen und bettelt um Kleingeld. Das ist nicht schön. Aber auch das ist das Leben. Zumindest für Menschen wie Oki.
Krasse Anekdoten aus Okis Leben
Oki ist natürlich nicht sein richtiger Name. Eigentlich heißt er Thomas, aber alle Punks benutzen „Straßennamen“. Gehört halt dazu. Und so ist Thomas bei seinen Freunden und Bekannten einfach „Oki“. Oki ist einer der Menschen, die durchs soziale Netz gefallen sind. Vor 20 Jahren wären Leute wie er wahrscheinlich noch recht weich vom deutschen Sozialsystem aufgefangen worden. Heute, seit Hartz IV, ist das anders.Oki hatte nie ein leichtes oder gar gutes Leben. Wenn man mit ihm spricht, und sich ernsthaft mit ihm unterhält, kommen immer recht schnell krasse Anekdoten. Wie dieser oder jener Freund von ihm wieder seine Bewährung vermasselt hat oder verhaftet worden ist. Warum er Stress mit seiner Freundin hat – warum er weiß, dass er es vermutlich nie wieder zurück schaffen wird, in das, was qua allgemeinem Konsens für die Normalität gehalten wird. Allerdings gibt er auch zu, an seiner heutigen Lebenssituation nicht ganz unschuldig zu sein. Wenn man ihn erst ein bisschen besser kennengelernt hat und man ihn in nüchternen und entsprechend selbstkritischen Augenblicken erlebt. Ja, er hat eine gewalttätige Vergangenheit. Ja, er saß im Gefängnis wegen Raubes. Und ja, auch Drogen gehören zu seiner Geschichte, die so voller Klischees ist.
Foto: Joerdell
Eine Geschichte voller Klischées.
Heute zeigt sich Oki jedoch von einer anderen Seite. Ich bin beeindruckt von seiner Cleverness, der Art von Intelligenz, die man im Volksmund Bauernschläue nennt. Und er ist ein netter Kerl. Ich glaube ihm, wenn er sagt, dass er heute ein anderer Mensch ist. Erst kürzlich musste er jedoch einen Dämpfer hinnehmen. Fast hätte er eine Wohnung gehabt. Fast. Denn die Wohnung war zu teuer, wie ihm die ARGE mitteilte. So blieb er den Dezember über auf der Straße. Glücklicherweise kommt er in den ganz kalten Nächten bei Freunden unter. Vielleicht würde er sonst nicht überleben.
Einmal hat er mir gestanden, dass es ihn wirklich anrührt, dass „normale“ Menschen wie ich mit ihm sprechen. „Pete“, sagte er, „Schau Dir meine Freunde an. Sie sind fast alle Abschaum. So wie ich.“ Aber wenn man ganz unten angelangt ist, wie Oki, sind Freunde das Einzige was bleibt. Der letzte Halt; das letzte bisschen Stabilität. Eines Abends, auf dem Weg nach Hause, traf ich auf den Bahnhofsstufen eine Horde junger Punks, die sich um Oki geschart hatten. Einer von ihnen spielte Misfits-Songs auf seiner Gitarre. Nachdem Oki und ich uns begrüßt hatten, sagte ich ihm, dass mir seine akustischen Versionen sehr gut gefielen, weil es nicht einfach sei, diese spezielle Art von Horror Punk aus New Jersey einfach nur auf sechs Saiten ohne Strom zu klampfen. Er lächelte mich an und fragte: „Willst Du einen speziellen Song hören?“ „Wie wär’s mit Saturday Night von der Famous Monsters?“ Und er griff den ersten Akkord und spielte. Plötzlich sangen wir alle am Solinger Hauptbahnhof „Saturday Night“ von den Misfits. Und aus heiterem Himmel war sie da: Gemeinschaft. Und ich war Teil dieser Community. Zumindest in diesem einen Moment.