Asiatischer Bildungsdrill: Ja oder Nein
"Ich hasse Mathe!"
Von Sun-Mi Jung für R2-Horizont
Foto: © Fotolia.com
Viel zu lernen gilt im ostasiatischen Kulturkreis als große Tugend.
Dortmund/New Haven-USA. „Die Beste sein“, fordert Amy Chua von ihren beiden Teenager-Töchtern Sophia und Louisa. Und zwar Tag für Tag. Kommt mir doch irgendwie bekannt vor. „Den wievielten Platz in Deiner Klasse hat Du mit dieser Note erreicht?“, lautete eine beliebte Frage meiner Eltern, wenn ich Ihnen meine Klassenarbeiten präsentierte. Egal welche Note ich geschrieben hatte. Selbst wenn es eine Eins war. Nur wurde in der 3. Klasse der Grundschule Am Busch in Castrop-Rauxel eine klasseninterne Rangfolge einfach nie erstellt. Deshalb hörten meine Eltern auch irgendwann auf, mir diese Frage zu stellen und gaben sich damit zufrieden, ein absolutes statt einem relativen Ergebnis zu bekommen. Ging ja auch nicht anders. Obwohl ihnen diese deutsche Praxis, die jeden direkten Wettbewerb unter den Schülern unterband, nicht wirklich gefiel. Ich glaube, bis heute nicht.
Dafür dachte sich mein Vater eine andere Strategie aus, um seine Tochter zu Höchstleistungen anzutreiben. Meine Mathe-Hausaufgaben kontrollierte er besonders gern. Wahrscheinlich auch deshalb, weil Mathematik ja eine internationale Sprache ist und auch von denen problemlos verstanden wird, die als Zuwanderer die deutsche Sprache nicht so gut beherrschten. Und weil Mathematik in Asien generell eine hohen Stellenwert hat. Und weil mein Vater einfach gern rechnet. „Zwei Fehler“, kommentierte er meine gelösten Aufgaben und gab mir meine seitenlangen Berechnungen wieder zurück. Mehr nicht. Das bedeutete für mich, ALLE Aufgaben noch einmal zu rechnen. Und zwar so lange, bis ich die zwei Fehler gefunden hatte. Irgendwann, tief in der Nacht, hatte ich die beiden Fehler dann gefunden. Und seitdem hasse ich Mathematik!!! An der Universität hatte ich dann später große Schwierigkeiten, ein mathematikloses Studienfach zu finden. Ich bin dann bei den Germanisten gelandet. Und die haben mich dann zum Journalismus und letztlich zu R2inside geführt. Alles nur, um nie wieder alle Aufgaben wieder und wieder rechnen zu müssen…
"Der Effekt sturer Wiederholungen wird weit unterschätzt"
Eine weitere pädagogische Maßnahme bestand für meine Eltern im Auswendiglernen. „Der Effekt sturer Wiederholungen wird in der westlichen Welt weit unterschätzt“, findet auch Amy Chuan. Dem will ich heute noch nicht einmal widersprechen. Je mehr man übt, desto besser wird man. Ganz einfach! Was man dabei schnell übersieht: es kostete mich und vor allem meine Eltern jede Menge Zeit, Geduld und Nerven, mir das kleine und große Einmaleins einzubläuen. Denn ich glaubte damals zahlreiche gute Argumente gegen das Auswendiglernen auf meiner Seite zu haben: Es gibt Taschenrechner. Ich habe keine Lust zum Lernen. Ich will das Nachmittagsprogramm im Fernsehen gucken. Ich will widerborstig sein und nicht tun, was ihr mir sagt. Ich hasse Mathematik!!!
Aber nicht nur in der Schule, nein auch in der „Freizeit“ sollen die Töchter von Amy Chuan ja immer die Besten sein. Klassische Musik und Sport sind dabei die Präferenzen der amerikanisch-asiatischen Juraprofessorin. Und schon wieder ein Déja Vu. Natürlich steht im Haus meiner Eltern bis heute ein Klavier. Hochglanzpoliertes Mahagoni, eine wahre Schönheit. Dieses Klavier quälte mich über Jahre. Oder quälte ich das Klavier? Mein Bruder entschied sich nach zwei Klavierstunden mit der koreanischen Hauslehrerin dann doch für die Geige. Oder waren es meine Eltern, die diese Entscheidung trafen? Ich weiß es gar nicht mehr so genau. Manchmal möchten Kinder nur etwas tun, um den Erwartungen ihrer Eltern zu entsprechen. Weil es ja auch sehr schön ist, wenn man einer Meinung ist. Auf jeden Fall sind sowohl mein Bruder als auch ich hoffnungslose Fälle an Klavier und Geige. In der Carnegie Hall, so wie die Tochter von Amy Chuan, sind wir nie aufgetreten. Wir haben noch nicht einmal „Jugend musiziert“ gewonnen. Das Klavier zieht trotzdem demnächst in meine Wohnung. Vielleicht spiele ich auch mal wieder etwas. Aber nur wenn keiner zuhört.
Seite 1 von 2
Kommentare
Und zu dem von Ihnen angesprochenen 'sozialen Aspekt' - in Südkorea werden im Straßenverkehr drei mal so viele Menschen getötet wie z.B. in Deutschland und Frankreich. Weil der Andere (Mensch) nichts zählt, wird bei Rot über die Ampeln gefahren, überall auf Gehwegen geparkt, in Schulzonen zu schnell gefahren... (Balli-Balli? Nach 25 Jahren Industrialisier ung wäre es an der Zeit, wenn die Südkoreaner sich wieder 'zivilisieren').
zitiere Andreas Kim:
ich fand den Beitrag auch sehr interessant, vor allem weil mir das in den Anfangsjahren meiner Schulausbildung in gewisserweise auch so begegnet ist. Nach dem 5.ten Klavierlehrer haben meine Eltern dann aber kapituliert und ich mich dahingehend durchgesetzt :-). Schulisch wurde natuerlich auch Druck ausgeuebt, aber ich glaube, dass fuer meine Eltern die Integration im Vordergrund stand, solange ich normal in der Schule weiterkam.
Aber der Ehrgeiz koreanischer Eltern ist und bleibt ungebrochen, was die Schulbildung ihrer Kinder betrifft.
Soviel ich aus Erzaehlungen ueber Korea und die Geschichte Koreas erfahren habe, ruehrt dieser Bildungswahn aus der damaligen Zeit Koreas herbei. Da es wenig Resourcen in Korea gibt, war die einzige "Ware", der Mensch und sein Einsatz. Daher auch die vielen Bergleute und Krankenschweste rn, die in den 60er Jahren nach Deutschland geschickt wurden.
Man versuchte dann den Bildungsrueckst and so schnell wie moeglich aufzuholen und investierte fortan hauptsaechlich in die Bildung der Kinder, damit sie es spaeter einmal besser haben sollten. Dieser Gedanke ist bis heute verankert in den Gedanken koreanischer Eltern. Die Pisastudien belegen zwar den Erfolg dieser Strategie, jedoch wird aus meiner Sicht der soziale Aspekt dadurch gaenzlich vernachlaessigt . Ein Student, der bis zum Ende seines Studiums bei seinen Eltern lebt, soll sich dann ploetzlich mit seinem Job komplett selbst versorgen koennen, was er ja gar nicht lernen konnte (da er nur am Lernen war).
Ein weiterer Kritikpunkt waere die Gleichmachung oder Uniformitaet in der koreanischen Bildung. Jedes Kind muss ein bestimmtes Basis-Programm absolvieren und dazu noch die Nebenfaecher wie Klavier, Geige oder Taekwondo. Da wird nicht viel nach Interessen oder Neigungen gefragt, sondern es gehoert zum Standardreperto ire eines "guten" Koreaners.
Ich glaube aber trotzdem, dass die juengeren Eltern schon seit Jahren gerne eine andere Bildungsform sehen wuerden. Jedoch sitzt an der Spitze dieser Ausschuesse wohl die "alte Garde", die noch das Sagen hat und somit eine Reform verhindert.
Koreanische Eltern sehen Bildung als einziges Mittel zum Ueberleben in der Gesellschaft (und als Eintrittskarte zu den Chaebol Unternehmen, die immer noch als Arbeitgeber eine Art Statussymbol darstellen), wobei ich mich frage, ob nicht die Zufriedenheit und das Gluecklichsein dabei auf der Strecke bleibt.
Ich hoffe nur das meine Kinder auch jeck werden :-)
Viele Grüße
Der Rheinländer
zitiere Guenther Schmidt:
danke für den sehr netten Artikel.
Ich denke, das der asiatische "Drill" und Bildungshunger sich nur schwer in unserer Kultur einbringen läßt. Zu groß die Zerstreuung, die Abwechslung, das Aktzeptieren des aktuellen Lebensstandards hier in unseren Breiten.
Als Alternative sehe ich es, wenn Kinder mit der Tätigkeit, die Sie für sich gefunden haben, glücklich sind. Ich habe da allerdings meine Töchter als Beispiel. Nach Abi und Studium, ohne Geige und Klavier, dafür als Gardetänzerinne n in einem Karnevalsverein , sind beide glücklich und zufrieden. Wir haben uns nicht eingemischt und hatten einfach riesiges Glück. Unvorstellbar in Asien. Einfach nur Glück haben und den Interessen freien Lauf lassen?
Aber wenn jedes Millionen Studenten in einem Land von der Schule gehen, wird es schwer und die Konkurrenz ist groß.
liebe Grüße
Günther
travelmanblog.com
Alle Kommentare dieses Beitrages als RSS-Feed.