Underground in Köln: Englands wichtigste Space-Rock-Band im R2-Gespräch
Amplifier: In den Tentakeln des Octopus
Von Martin Giesel und Peter Joerdell für R2-Popsmart
Foto: Joerdell
Das Underground kocht: Neil Mahoney macht sich während der Zugabe "Airborne" zum Sprung von der Box bereit.
Die Sache mit den Stickern übrigens, die mit der Limited Edition des Albums inklusive eines kleinen systemkritischen Buchs von Sel Balamir an Fans verteilt wurden, sei ein Teil des genannten Experiments, über das die Band keine Kontrolle habe: „Die Musik gibt es ja nur, weil Leute sie hören, rezeptionsästhetisch gesprochen. Wie ein Text existiert Musik nur durch Wahrnehmung. Der Octopus wird über die kleinen Sticker sichtbar. Ich war neulich in London total erstaunt, wie viel von ihnen überall klebten. Und in dem Club in Hamburg, wo wir gestern gespielt haben, hatte jemand auf dem Klo den ersten Satz aus meinem kleinen Buch an die Wand geschrieben – Wahnsinn!“
Foto: Joerdell
Auch bei den Vocals hat Bassist Mahoney eine Menge beizusteuern.
Später am Abend zeigt sich im Live-Set die neueste Stärke der Band: ihr zweiter Gitarrist, Steve Durose. Der fand nach Auflösung der befreundeten Band Oceansize bei Amplifier eine neue Heimat. Sel Balamir kann sich dadurch endlich ganz auf seine Rolle als Frontmann konzentrieren, und die diffizilen Gitarren-Parts von The Octopus verteilen sich auf zwei Paar Schultern. „Einen Track wie ,Interstellar’ hätte ich live sonst wohl kaum spielen können“, gibt Balamir zu. Allein ist es fast jenseits des menschlich Möglichen, rechtzeitig auf alle Effektpedale zu treten, um den rasanten Song über Reisen mit Überlichtgeschwindigkeit in seinem zehnminüten Monster-Groove korrekt zu spielen.
Ein soundtechnisch perfekter, virtuos und mit Freude gespielter Gig
Foto: Joerdell
Amplifier beim Aufbau: Besonders eine Menge Effektpedale wollen vorbereitet sein. Die Band benutzt von ihnen eine ganze Ménagerie.
Gespielt wird auf dieser Tour tatsächlich fast ausschließlich neues Material, das das gut gefüllte Underground zum Kochen bringt. Die Zugaben von der EP „The Astronaut dismantles HAL“ („Continuum“) sowie vom Debut-Album („Motorhead“, „Airbourne“ und, als grandioses letztes Stück, „Ufos“) setzen noch einmal einen drauf. Die Band legt einen absoluten Home-Run nach einem soundtechnisch perfekten, virtuos und mit sichtlich viel Freude gespielten Gig hin. Nach der Show ist Backstage noch Zeit für ein Bier mit ein paar Fans und dem R2-Team. Sel Balamir freut sich nach wie vor über Neuzugang Steve Durose. „Jetzt kann der AC/DC-Fan in ihm auch endlich mal abrocken“, lacht er, „bei Oceansize waren sie da ja doch noch etwas anders unterwegs.“ Überhaupt ist Steve eine Bereicherung, auch bei den Vocals, die Sel gemeinsam mit ihm und Basser Neil Mahoney mitunter dreistimmig bestreitet.
Das beschert ihm live sogar einen Part, den im Album-Song „Interglacial Spell“ noch eine Trompete spielt. „Sel meinte bei einer Probe, sing doch einfach mal den Trompeten-Lauf. Erst dachte ich, verdammt, das wird lächerlich! Aber irgendwie kam es cool rüber, und jetzt ist es live schon Standard“, schmunzelt der Ex-Oceansize-Gitarrist.
Seite 2 von 3