R2-Chefredakteurin über Familienmitbringsel aus Korea
„Dinge, die es in Deutschland nicht gibt“
Von Sun-Mi Jung für R2-Horizont
Foto: Jung
Seoul in seiner ganzen Pracht - und vollgestopft mit Dingen, von denen der Durchschnittsdeutsche kaum eine Ahnung hat.
Dortmund. Wieviel Gepäck, glauben Sie, kann eine 1,50 Meter große, 47 Kilogramm schwere Frau aus eigener Kraft bewegen? 20, vielleicht 30 Kilogramm? Sie irren! Bis zu 50 Kilogramm, also mehr als das eigene Körpergewicht, schiebt meine Mutter locker auf einem Flughafen-Gepäckwagen in Frankfurt vor sich her. Dass es sich um meine Mutter handelt erkenne ich allerdings erst im letzten Moment, denn hinter den Bergen von Koffern und Taschen verschwindet diese kleine Person vollständig. Meine Eltern waren mal wieder in ihrer alten Heimat Südkorea. Ich muss es alte Heimat nennen, weil sie ihr neues Zuhause längst in Deutschland, genauer gesagt in Ruhrgebiet, gefunden haben. Hier leben sie jetzt seit fast 40 Jahren, haben hier geheiratet, gearbeitet, zwei Kinder bekommen und sich schließlich häuslich niedergelassen. Aber zurück zum Flughafen. Sie fragen sich jetzt bestimmt, warum mein Vater meine Mutter das gesamte Gepäck schieben lässt? Lässt man in Korea nur die Frauen arbeiten? Nun, er lässt sie gar nicht das ganze, sondern nur die Hälfte des Gepäcks schieben. Er kümmert sich indes um weitere 50 Kilogramm. Insgesamt sind meine Eltern also mit 100 Kilogramm Gepäck unterwegs, die sie müde, aber gut gelaunt auf meinen Bruder und mich zuschieben.
Meine Eltern waren wie gesagt in Südkorea. Drei Monate. Am Stück. Seit sie nicht mehr arbeiten und die Kinder, also mein Bruder und ich, groß sind, gönnen sie sich diese Art von Heimaturlaub einmal im Jahr. Mein Vater kann seine Eltern sehen, meine Mutter kann ihre Schwestern besuchen, beide können alle koreanischen Speisen essen, auf die sie in den letzten neun Monaten verzichten mussten. Mama, die auch für koreanische Verhältnisse von sehr zarter Statur ist, kann endlich passende Kleidung und vor allem Schuhe kaufen (Ein Grund für die 100 Kilogramm Gepäck). Papa kann seine Fahrkünste im dichten Seouler Stadtverkehr austesten. Mama genießt die Dynamik der Metropole Seoul, Papa zieht es in das Bergdorf seiner Eltern. Beide, vor allem Papa, regen sich nach mehrwöchigem Aufenthalt schrecklich über die ihrer Meinung nach ungeordneten Zustände in Korea auf und wollen wieder zurück nach Deutschland. Nach Hause. „Korea ist noch lange nicht so weit“, lautet ein Lieblingsspruch meines Vaters, den er in jede politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Diskussion mit seinen Geschwistern einwirft. Er zeigt damit das Wissen um europäische Standards und einen kritischen Geist.
Foto: Jung
Kann ihrem koreanischen Erbe nicht entkommen (will sie aber auch gar nicht): R2-Chefredakteurin Sun-Mi Jung.
1,50 Meter groß, aber überaus autoritär
Jetzt will ich Sie aber endlich über die 100 Kilogramm aufklären. Mutters Kleider und Schuhe brauchen natürlich mehrere Koffer. Dazu kommen aber noch Dinge, „die es in Deutschland nicht gibt“. Zum Beispiel ein kürbisgroßer Lampenfuß aus grüner, koreanischer Keramik nebst Schirm. Wie man so etwas im Flugzeug transportiert? Am besten als „Handgepäck“ auf dem Schoß. Sind ja nur zwölf Stunden Flug. Denn in den Koffer hätte das Schmuckstück erstens nicht gepasst, zweitens wäre es wahrscheinlich zerbrochen und drittens waren die Koffer ja auch schon längst aufgegeben, als meine Tante in letzter Minute mit ihrem Überraschungs-Abschiedsgeschenk am Flughafen rausrückte. „Die müsst ihr unbedingt mitnehmen. So etwas gibt es in Deutschland nicht“, befiehlt meine Tante. Und duldet dabei keine Widerworte. Meine Tante kann für ihre ebenfalls 1,50 Meter äußerst autoritär sein. Also kommt die Lampe mit. Licht braucht man ja auch immer. Wir warten auf den Tag, an dem sie eine lebensgroße Buddhastatue zum Flughafen bringen lässt. Die könnte dann auf einem unserer Flugtickets fliegen.
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