Donny Moto: Zweiradmechanikermeisterin in Männerdomäne

Benzin im Blut: "Ich tu' mein Bestes"

Von Lilian Muscutt für R2-Mein Leben

Foto: Muscutt

Die Expertin und ihr Reich: Geraldine Beller hat ihr Handwerk von der Pike auf gelernt.

Solingen. In der Notaufnahme herrscht Betrieb. Patientin Yamaha TRX 850 hängt am Tropf – nackt im weißen Werkstattlicht. Entblößt steht sie auf der Hebebühne, während durch den Schlauch am Ständer die Benzininfusion fließt, Tank und Anbauteile lagern im Teile-Regal, Öl-Geruch klebt in der Luft. Patient Suzuki GSX R1100 hat’s härter erwischt. Sein bestes Stück, der Motor, liegt auf der Werkbank, zerlegt in alle Einzelteile. Diagnose: Getriebeschaden. Daneben wartet ein weiterer Notfall. Die winzige, abgebrochene Spitze einer Gemischregulierschraube steckt tief im Inneren eines Vergasers. Sieht nach einer kniffeligen Operation aus, die feinmechanisches Geschick erfordert. Noch dazu ist Patientin Kawasaki Z 550 nicht mehr die Jüngste und ihr Zustand bedenklich.

Sie alle müssen sich gedulden. Denn Zweiradmechanikermeisterin Geraldine Beller (40) zeigt gerade einem Kunden die Bremsleitungen und Gabelfedern seines Shoppers Honda VTX 1300, die sie bei der Inspektion ausgetauscht hat.

Die Saison hat begonnen und die Motorrad-Fachfrau hat in ihrer
Werkstatt „Donny Moto“ alle Hände voll zu tun. Das freut die Solingerin. „Aber das ist auch krass“, sagt sie. Und als sie in einem ruhigeren Moment an der Kasse steht, hinter der auf Stahlregalen WD-40, Polituren für eloxiertes Aluminium, Lenkerschwingungsdämpfer, Silikon-, Kettensprays und Bremsenreiniger ordentlich aufgereiht sind, kommen ihr die Suzuki-Ölpumpe und das MZ-Vorderrad in den Sinn, die sie vor Wochen bestellt hat: Wann um Himmels Willen werden die endlich geliefert?

Jahresurlaub gibt es nur im Winter, außerhalb der Saison

12 bis 14 Stunden am Tag arbeitet die selbstständige Meisterin im Frühjahr und Sommer, sechs Tage die Woche. Unter Hochdruck. „Dann muss immer alles gestern passiert sein.“ In den kalten Monaten sinkt zwar – wie in der Branche üblich – die Zahl der Aufträge, so dass die Solingerin im Winter ihren vier Wochen langen Jahresurlaub nehmen kann. Aber über zu wenig Arbeit kann sie auch dann nicht klagen, repariert Motorräder aller Marken, nimmt Inspektionen, Wartungsarbeiten und Umbauten vor, speicht Räder ein, reinigt und synchronisiert Vergaser, setzt Motoren instand, stellt Ventile ein oder optimiert Fahrwerke.

Weil sie in ihrer Werkstatt so viel Zeit verbringt, hat sie diese mit Liebe zum Detail eingerichtet. „Hier will ich es schön haben.“ Im Licht glänzt der dunkelblaue Industrie-Boden aus Epoxidharz, Modell-Motorräder hängen mit ihren Fahrern kopfüber aufgereiht über der Theke, auf orangefarbenen Stahl-Regalen können Besucher eine Liebhaber-Sammlung aus Metall-Dosen in allen Größen bewundern, in der Gummi-Muttern, Elektrostecker, Dichtringe und Ventile lagern. „Hier is’ nix, wat keinen Sinn hat!“ Den „Tropf“ – jener mit Benzintank, Hahn, Schlauch und Synchronisationsgerät ausgestattete Ständer, an dem die Yamaha TRX 850 angeschlossen ist – hat die Mechanikerin gebaut. Das im Handel erhältliche Modell sah ihr zu „hässlich“ aus. Für ihre Patienten will sie nur das Beste.

Foto: Muscutt

Der Beruf einer Zweiradmechanikermeisterin ist eine Wissenschaft für sich, die viele Anforderungen mit sich bringt.

Aber der Anspruch, allen Patienten die beste Behandlung zu bieten, führt manchmal dazu, dass die Nerven blank liegen – etwa bei Lieferengpässen, wenn die bestellte Ölpumpe oder „irgend so eine popelige Schraube“ Wochen lang auf sich warten lassen. Oder die über ein hohes Maß hinaus spezialisierte Branche ihre Schatten wirft und Ersatzteile wie die Gemischregulierschraube X von Hersteller Y nicht aufzutreiben sind. Solche Momente wecken bei Geraldine Beller Science-Fiction-Fantasien. „Der Replikator – der fehlt!“, verkündet sie mit ernster Miene. Soll heißen: Eine Maschine, in die man das beschädigte Teil legt und die auf der Stelle ein Replikat anfertigt. Wohl der ultimative Wunschtraum eines jeden Mechanikers.

Trotz Arbeitsbelastung siegt die Liebe zu Motorrädern. „Das ist mein Leben, erklärt Geraldine Beller, die im Alter von sechs Jahren ihr erstes motorisiertes Zweirad, eine Honda Monkey, fuhr, und ab ihrer Jugendzeit eins im Sinn hatte: Zweiradmechanikerin werden.

Einen Betrieb zu finden, der Frauen ausbildet, war gar nicht so einfach

Doch damals war es schwer, einen Betrieb zu finden, der Frauen zu Mechanikerinnen ausbildete – meist fehlten die sanitären Einrichtungen. Geraldine Beller machte in den Jahren, in denen sie einen Ausbildungsplatz suchte, ihr Fachabitur und arbeitete als Siebdruckerin, in der Freizeit schraubte sie an ihrer Yamaha XT 500 oder baute Motoren auseinander und wieder zusammen. Als Geraldine Beller schließlich eine Stelle in einer Remscheider Werkstatt fand – in der sie später noch acht Jahre lang arbeiten sollte – verkürzte sie ihre Ausbildungszeit um ein Jahr. Und als sie 2006 ihren Meisterbrief in der Tasche hatte, wurde sie am „Tag der Besten“ von der Westdeutschen Handwerkskammer geehrt.

Ihre Werkstatt eröffnete die Meisterin Anfang 2007 „mitten in der Wirtschaftskrise“. Die Chancen auf Erfolg standen schlecht. Zuvor hatte sie ihr langjähriger Chef aus der Not heraus entlassen müssen, einer der darauf folgenden Arbeitgeber hatte Geraldine Beller saisonbedingt auf die Straße gesetzt. Aber woher kam der Mut für den Schritt in die Selbstständigkeit? „Benzin im Blut!“ Die Wörter schleudert Geraldine Beller einem entgegen, bevor die Frage zu Ende gestellt ist. Benzin im Blut. Dafür nehmen Zweiradmechanikermeister und -meisterinnen die viele Arbeit in Kauf. Im Mittelpunkt steht der Kontakt mit dem Kunden.

„Ich tu’ mein Bestes“

Was jener Kontakt mit den Kunden bedeutet, erlebt man in der Werkstatt von Donny Moto. Der Feierabend naht, aber der letzte Kunde mag noch nicht gehen. Traurig begutachtet er ein Bauteil seines Babys. Okay, Kawasaki Z 550 hat ihre besten Jahre hinter sich und zieht keine Blicke der Bewunderung an. Aber sie bleibt sein Schatz. Er seufzt beim Betrachten ihres Vergasers, in dem die Spitze der Gemischregulierschraube hängt. Das Geld sitzt nicht locker. Ob sich die aufwändige Operation lohnt oder ein neuer Vergaser das Leid lindern muss? Die Entscheidung fällt. „Probier’ et!“, sagt der Mann schließlich. Nur wer Motorräder wirklich liebt, weiß, wie dramatisch die Lage ist, und es klingt wie „Kopf hoch, wir packen das“, als Geraldine Beller mit fester Stimme – und möglichst ohne sichtbare emotionale Regung – erklärt: „Ich tu’ mein Bestes“ – „Das weiß ich“, entgegnet der Mann mit fester Stimme. Er meint es ernst.

Mehr Donny Moto im Web:

Geraldine Bellers Werkstatt im Internet: www.donny-moto.de

Diesen Artikel in sozialen Netzwerken...

Kommentar schreiben



Aktualisieren

Anzeige

first
  
last
 
 
start
stop

Anzeige

Anzeige

Senf aus Schwerte

© photocase

Schwerte. Was hat Schwerte mit Senf zu tun? Eine ganze Menge - denn hier betreibt Frank Preisert die Schwerter Senfmühle - ein Mekka für alle Freunde des scharfen Geschmacks.

weiterlesen...

 


Rollis: Der wärmende Klassiker

rollkragen-277

© clautsch / photocase.com

Rhein-Ruhr.  Der R2-Kleiderständer listet die Top Ten der Kleiderklassiker auf, die in jeden Schrank gehören. Auch Rollkragenpullover sind Teil des Pakets...

weiterlesen...

 


Praktikanten, seid pünktlich!

© photocase

Rhein-Ruhrgebiet. Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Das gilt auch im Praktikum. Wackelkandidaten soll jetzt ein Prakitkanten-Knigge auf die Sprünge helfen...

weiterlesen...

 


first
  
last
 
 
start
stop

Minimalismus: totale Reduktion

minimalismus-277

Köln. R2-Mein Leben hat in Köln einen Minimalisten besucht. Die noch recht junge Bewegung aus den USA hat sich einem Lifestyle des "Weniger ist mehr" verschrieben. Die Gründe dafür reichen von Konsumkritik bis Vereinfachung einer überkomplexen Welt.

weiterlesen...

 


Die Meisterkletterin aus Dortmund

Dortmund. Juliane Wurm ist Deutschlands größtes weibliches Klettertalent. Die R2-Sportskanone stellt die preisgekrönte Sportlerin vor, die auch bei den westdeutschen Meisterschaften in Wuppertal abräumte.

weiterlesen...

 


Wie man Räume pflegt...

anneteaser

Ruhrgebiet/Hamburg. Wie man Räume ganz einfach schöner macht, weiß Innenarchitektin und R2-Gastautorin Anne Spriesterbach. In ihrem Blog R2-Raumpfleger zeigt sie ihre Tipps und Tricks. Weiterlesen...