Komponist Ludger Vollmer im Gespräch

„Opern sind Großbaustellen“

Von Peter Joerdell für R2-Bildungsbürger

Foto: Theater Hagen

Ludger Vollmer (links) hochkonzentriert bei der Arbeit.

Hagen. Die 2008 in Bremen uraufgeführte Oper „Gegen die Wand“ von Ludger Vollmer kommt ans Theater Hagen. Sie erzählt die Geschichte des gleichnamigen Films von Fatih Akιn aus dem Jahr 2004, der mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und in der Öffentlichkeit über Wochen kontrovers diskutiert wurde.

R2inside: Herr Vollmer, warum schreibt jemand heute eigentlich noch Opern?

Ludger Vollmer Opern sind für mich das größte auf der Bühne zu erlebende Gesamtkunstwerk. Emotionen werden sowohl durch die Worte des Textes als auch durch die nonverbale Wirkung der Musik transportiert. Die Verbindung dieser verbalen und nonverbalen Ebene baut einen maximalen affektiven Druck auf, der im Idealfall den Zuschauer mit allen Fasern seines Körpers packt.

R2: Wo aber steht die Oper im 21. Jahrhundert? Was sind ihre Herausforderungen?

Vollmer: Die Oper erfuhr ihre nachhaltigste Ausdehnung im 18. und 19. Jahrhundert bis hin zu Richard Strauss. Die Werke aus dieser Epoche stehen heute hauptsächlich auf den Spielplänen. Diese Opern transportieren werkimmanent die Ästhetik ihrer Entstehungszeit. Nun ist das 18. und 19. Jahrhundert aber schon länger passé. Gerade die ästhetische Wahrnehmung der jüngeren Generation hat sich durch Technologien und Medien extrem verändert. Schnelle Reisemittel forcieren die Globalisierung. Der Input aus außereuropäischen Kulturen ist viel größer, als wir ihn vielleicht wahrnehmen. Unsere Alltagskultur ist voll mit Einflüssen aus orientalischen und afrikanischen Kulturkreisen. Diesem Umbruch vor allem seit Ende des Zweiten Weltkriegs muss auch die Oper Rechnung tragen. Wir können dauerhaft nicht vom Zielpublikum erwarten, dass es sich sofort beim Betreten eines Opernhauses auf eine andere Ästhetik umstellt. Sonst wird die Oper irgendwann museal. Ich gehe gerne ins Museum und schaue mir zum Beispiel altägyptische Kunst an, nur erreicht sie mich heute emotional ganz anders als die Menschen in ihrer Entstehungszeit.

R2: Wussten Sie sofort, nachdem Sie den Film „Gegen die Wand“ gesehen hatten, dass Sie einen geeigneten Opernstoff vor sich hatten?

Vollmer: Als Komponist ist man immer auf der Suche nach Stoffen für neue Werke. Opern sind ja Großbaustellen, mit denen man sich oft über mehrere Jahre hinweg beschäftigt. Stoffe, die Nachhaltigkeit versprechen, sind daher für mich sehr wichtig. So war das auch bei „Gegen die Wand“. Ich war regelrecht schockiert, weil ich das Problem der Immigration als Ostberliner und Ostdeutscher so bewusst gar nicht kannte. Über die Medien war ich zwar informiert, aber ich hatte emotional nicht realisiert, dass es in Deutschland eine vollständige Parallelwelt der Minderheiten gibt, in der Menschen die gleichen archaischen Grundprobleme wie in der deutschen Mehrheit durchstehen müssen. Die Probleme der Figuren aus Akıns Film können überall stattfinden, und mir waren die Charaktere des Films plötzlich sehr nahe.

Foto: Theater Hagen

Chorszene aus "Gegen die Wand": Auch in der Choreographie dominiert starker Ausdruck.

R2: Wie war es große Teile der Oper in einer für Sie fremden Sprache, dem Türkischen, zu verfassen?

Vollmer: „Gegen die Wand“ ist nach meiner Kenntnis die erste Oper überhaupt, die die türkische Sprache in diesem Ausmaß als Opernsprache verwendet. Ich hatte zwei Hauptmotivationsgründe, um das Türkische zu verwenden. Zunächst ist die Sprache für mich so etwas wie der genetische Fingerabdruck einer Kultur, der auch durch gute Übersetzung nicht vollständig kopiert werden kann. Zum Zweiten ist Sprache natürlich ein Identifikationsmerkmal für das Zielpublikum. Lange Zeit wurde die hochkulturelle türkische Sprache in Deutschland nur als „Gastarbeitersprache“ angesehen. Dem wollte ich entgegentreten, indem ich sie in die deutschen Opernhäuser, in das Herz unserer Kultur hole. Es wäre für mich eine Form des Neokolonialismus gewesen, wenn ich diesen Stoff nur auf Deutsch verarbeitet hätte. Praktisch lief es so, dass ich auf Hilfe von Übersetzern angewiesen war. Ich habe immer wieder sehr genau nachgefragt, was die Übersetzung wörtlich bedeutet, habe für die Vertonung mit eingesprochenen Texten gearbeitet, diese nachgesprochen, ihren Rhythmus und ihre Sprachmelodie nachgefühlt und sie schließlich musikalisiert.

Seite 1 von 2

Suche

Anzeige

R2-Wochenende

Freitag, den 25.02.2011

Dirty Deeds '79

Cobra, Solingen
weiter...

Samstag, den 26.02.2011

Uncle Ho und Bronson

LCB, Wuppertal
weiter...

Sonntag, den 27.02.2011

TM Shocka Zooloo

Zeche Carl, Essen
weiter...

 


Neueste Kommentare der R2-User

R2-Newsletter

Anzeige

R2inside empfehlen und weitersagen

Anzeige

Gabelbieger

Senf aus Schwerte

© photocase

Schwerte. Was hat Schwerte mit Senf zu tun? Eine ganze Menge - denn hier betreibt Frank Preisert die Schwerter Senfmühle - ein Mekka für alle Freunde des scharfen Geschmacks.

weiterlesen...

 


Knackiges aus dem Internet

© photocase

Dortmund. Lebensmittel online kaufen? Ist das nicht nur was für Nerds? Bald nicht mehr. Denn Online-Supermärkte wie Froodies aus Dortmund erobern den Markt - und der ist hungrig.

weiterlesen...

 


Slow Food: Anders essen

Slow Food Dortmund

© Slow Food Deutschland e.V.

Dortmund. Slow Food ist längst keine exotische Bewegung mehr, sondern in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Das zeigt zum Beispiel die Slow Food-Gruppe in Dortmund, die der R2-Gabelbieger besucht hat.

weiterlesen...

 


Stilikone

Die richtige Schmuckpflege

Solingen. Darf ich meine teure Fliegeruhr ins Ultraschallbad regeln? Kann ich Silberschmuck mit dem Küchenhandtuch abreiben? Goldschmiedin Petra Niehues gibt für R2inside die zehn wichtigsten Tipps für erfolgreiche Schmuckpflege - damit Schönes lange währt.

weiterlesen...

 


Trödler und Sammler

Dortmund. Der Antik- und -Sammlermarkt in den Dortmunder Westfalenhallen lockt seit 1979 Trödler und Sammler aus ganz Deutschland an. Die R2-Stilikone stattete dem Markt einen Besuch ab.

weiterlesen...

 


Ich will mit Stil nach oben

Unna. Was macht guten Stil und Benimm aus? Sicherlich nicht das Goldkettchen auf dem Brusthaar-Toupet. R2inside sprach mit Benimm-Trainerin Marianne Montag über Dresscodes und warum gutes Benehmen für alle wichtig ist.

weiterlesen...

 


Bildungsbürger

Kafka-Werksausgabe

Wuppertal. Seit fast 30 Jahren betreut Hans-Gerd Koch, einer der führenden Kafka-Forscher, die kritische Werkausgabe des S. Fischer Verlags. Die bringt er nun als „letzter Mohikaner“ zu Ende...

weiterlesen...

 


Ein(e) Eck(e) für die Kunst

Solingen. Das Art-Eck in Gräfrath ist inzwischen kein Geheimtipp mehr. Auch in Köln und Düsseldorf hat die kleine aber feine Galerie einen guten Ruf, da Ruth Boomers vornehmlich ambitionierte Nachwuchskünstler ausstellt. Der R2-Bildungsbürger mit einem Porträt.

weiterlesen...

 


Pneumatische Skulpturen

Köln. Franz Bahr aus Köln ist einer der wichtigsten europäischen Vertreter der postmedialen Skulptur. 2010 machte er mit pneumatischen Skulpturen aus Aluminium von sich reden. Der R2-Bildungsbürger hat ihn besucht.

weiterlesen...

 


Popsmart

LudoArt auf "Spiel" in Essen

Wuppertal/Essen. Kleine weiße Elefanten, ein Planet unter Dampf und das alles in Brettspielform - der Wuppertaler Spieleerfinder Frank Czarnetzki begeistert auch dieses Jahr wieder mit neuen Ideen auf der "Spiel" in Essen, Europas wichtigster Branchenmesse.

weiterlesen...

 


Still alive: Die Rämouns

Velbert. Ein Jahrzehnt „One, two, three, four” – die Rämouns sind nicht totzukriegen...

weiterlesen...

 


Angriff der Riesenroboter

Solingen. Es begann alles ganz harmlos, vor 25 Jahren mit einer Begeisterung für Comics. Und Riesenroboter. Heute ist Zelimir Pecenica "Gebrauchsgrafiker" - und stellte die erste Transformers-Ausstellung im Bergischen Land auf die Beine.

weiterlesen...

 


Horizont

Deutsch-Japanischer Kindergarten

Düsseldorf-Niederkassel. Den deutsch-japanischen Eko-Kindergarten besuchte der R2-Horizont, um zu erfahren, wie Kinder bikulturell erzogen werden.

weiterlesen...

 


Verbindung Saxo-Thuringia


Bochum. Studentenverbindungen - sind das nicht die mit den Käppis und Schärpen, die dem Kaiser hinterhertrauern und sich duellieren? Im Gegenteil! Verbindungen sind heute weltoffene Netzwerke, die soziale Verantwortung übernehmen.

weiterlesen...

 


Kerala ist Ayurveda

© Fotolia

Castop-Rauxel. Thomas Vallomtharayil hatten die Ärzte schon fast aufgegeben. Die Ironie dabei: Er ist Unternehmer in der Medizintechnik-Branche. Wirklich helfen konnte ihm aber nur die uralte Weisheit des Ayurveda aus seiner indischen Heimat.

weiterlesen...

 


Sportskanone

Boxen für Manager

Dortmund. Karin Lassas-Schlosser ist Inhaberin einer Boxschule für Manager. Und steht natürlich auch selbst im Ring.

weiterlesen...

 


Historisches Fechten in Wuppertal

© fotolia

Wuppertal. Ja so war'ns, die alten Rittersleut... Oder doch nicht? Wie sah historischer Schwertkampf wirklich aus, als diese Tätigkeit noch zum Alltag gehörte? Stefan Dieke sucht in Wuppertal schon lange nach Antworten. Er unterrichtet Schwertkampf nach Lehrmethoden aus dem Mittelalter.

weiterlesen...

 


Frauen-Mountainbiking

Düsseldorf. Das Team Powerflower dreht mächtig auf - auch wenn Frauen im Downhill-Mountainbiking auf Sicherheit Wert legen. Aber eine heiße Felge wird dort alle Male gefahren. R2-Reporterin Lilian Muscutt war mit dabei.

weiterlesen...